Erfahrungsbericht – wenn der Minimalismus ins Leben tritt

Miss Orderly Ordnungsblog - Geschichten die das Leben schreibt

Gastbeitrag von

Ohne es geplant zu haben, machte ich meine ersten Erfahrungen mit Minimalismus – mehr oder weniger freiwillig trat ein Ereignis in mein Leben, welches mich dazu gezwungen hat, mit weniger auskommen zu müssen. Was geblieben ist, sind viele Erkenntnisse und eine neue Lebenseinstellung.

Von der Nomadin zur Siedlerin

März 2020: Wir erinnern uns wahrscheinlich alle an diesen besonderen Frühling. Bei mir wird die Rückschau ergänzt durch die Trennung von meinem Mann Anfang März. Wir waren uns zwar einig, dass ich vorerst noch im grossen gemeinsamen Zuhause in Deutschland wohne. Doch als die Berichte um eine Grenzschliessung immer lauter wurden und keiner wusste, was konkret zu erwarten war, wurde mir klar, dass ich in meine Heimat wollte, wenn mich davon auch nur wenige Kilometer trennten. So liess ich mich also ziemlich spontan abholen und zog mit nur einem Koffer vorerst bei einer Freundin ein. Es blieben mir nur wenige Augenblick, mir zu überlegen, was ich in der nächsten Zeit bei mir haben möchte. Ebenso hatte ich keine Ahnung, wie lange der Zustand meiner Abwesenheit dauert. Hatte ich alles dabei, was ich benötigte? Natürlich nicht, aber es fehlt doch gefühlt immer irgendwas zur vermeintlichen Perfektion. So verzichtete ich aufgrund des Frühlings und dem reduzierten Platz auf die winterlichsten Dinge. Natürlich fand ich mich im April im Schnee wider – Und erkannte: Zwiebellook ist super und die meisten Menschen haben so viel, dass es zum Teilen locker reicht. Meine Outfits in der Zeit waren natürlich keinesfalls für eine Modenschau geeignet, aber darum geht es ja im Leben glücklicherweise nie. 

Was braucht es wirklich für ein erfülltes Leben?

Als ich im Sommer endlich wieder zurück in mein altes Zuhause durfte und Zugriff auf mein Hab und Gut hatte, merkte ich: Mir fehlte gar nix. Alles, was ich privat wirklich brauche findet in einem Koffer Platz. Dazu kommen persönliche Unterlagen und die Ablage meiner Firma, Raumkapazität von etwa einer weiteren Kiste. So begann ich alles wegzugeben, was sich in den letzten Jahren anhäufte und liess die Möbel direkt bei meinem jetzigen Exmann und er sparte sich die Anschaffung neuer Möbel.

Kleiner Einschub: Meinen Exmann kenne ich inzwischen 10 Jahre, davon waren wir fast acht Jahre ein Paar. So gut wie wir uns heute verstehen, haben wir uns während der gesamten Beziehung nie verstanden. Durch unsere Trennung gewannen wir mehr, als wir verloren und so verbindet uns inzwischen eine Freundschaft, die in der Lage ist, sich zu verändern und dennoch Bestand zu haben. In meinem letzten Buch schrieb mein ehemaliger Partner sogar offen über seinen Prozess dieses Loslassens und begleitete mich mit seinem Text bereits an Lesungen, was mich sehr berührt. 

Einfach und leicht ist meist nicht das Gleiche

War es wie der berühmt berüchtigte Ponyhof, fast mein komplettes Hab und Gut inklusive vieler Erinnerungsstücke wegzugeben, damit sie einem anderen Menschen Freude bereiten konnten? Ja. Es war absolut befreiend. Was jedoch schockierend war – Wieviele Dinge sich angehäuft hatten, die nie zu mir passten und mit meiner wahren Identität keine Gemeinsamkeit haben. Heute überlege ich mir bei jedem Einkauf etwa drei Mal, was ich wirklich brauche oder damit ein anderes Gefühl zu unterdrücken versuche. Ob mir suggeriert wird, dass mir etwas fehlt oder ich wirklich einen Mangel habe.

Zu Beginn nach meiner Trennung mietete ich eine längere Zeit keine eigene Wohnung an, sondern lebte entweder bei meiner Schwester oder aufgrund der beengten Wohnsituation zu Gast woanders. Stets und ständig bei Freunden und fast Fremden zu leben ist natürlich eine Herausforderung. Sich immer auf neue Tagesabläufe, Ernährungsgewohnheiten und sonstige Eigenschaften einzustellen gelang mir als flexiblem Menschen relativ gut. Die Schlafsituation und Privatsphärenoptionen konnte ich ebenfalls meistens bewerkstelligen, war das Zusammenwohnen doch immer zeitlich befristet. Es gab grosse Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen, ihrer Altersgruppe, Wohnform, Arbeitsmodellen und vielem mehr. Doch was sie alle eint und mich nachhaltig berührt ist die herzliche Unterstützung, die mich überall erwartete. Wie ich überall ein echtes Zuhause fand und was ich in dieser Zeit an Offenheit und Gastfreundschaft erleben durfte ist schier unglaublich. Es ist also Wahres dran: Wer loslässt hat die Hände frei und heute weiss ich auch wofür. Da war und ist durch unsere Erfahrungen nun so viel echte Verbindung, unbeschreiblich.

Klar war die Zeit manchmal intensiv für mich und bestimmt kostete es das jeweilige Gegenüber ab und an Energie, doch gemeinsam statt einsam schafft sich alles leichter. Am schwersten bei dieser ganzen Los-Lass-Thematik hin zu noch bewussterem Konsumverhalten fiel mir persönlich der Aspekt des Teilens beziehungsweise vom Empfangen. Um meine Herausforderungen im Umgang mit der erhaltenen Unterstützung bedingungslos annehmen zu können, hätte mir wahrscheinlich der reflektierte Austausch mit einer aussenstehenden Person geholfen. Dadurch wäre wohl der nötige Abstand entstanden, um das Erlebte neutral betrachten zu können.  


Alles neu macht der April?

Wir spulen etwas vor: Im April 2022 findet endlich der Einzug in mein neues eigenes Heim statt. Der Entschluss dazu war eher ein zufälliger. So trieb mich also meine Lebensform des im «Fluss treiben lassen» zurück in die Sesshaftigkeit. Ganz nach meinem Motto: «Erstmal für immer».

Doch natürlich hatte ich kaum noch Besitztümer, die man für das Leben in einer Wohnung so benötigt. Sprich mein Sammelsurium bestand zum Zeitpunkt des Einzugs aus einem Stuhl und einem Nähkästchen für Fotos und Erinnerungen, welches nach dem Tod meiner Mutter bei mir einzog. Schlicht zum Möbelhändler zu fahren und mir dort das Benötigte zu kaufen, kam für mich aus Nachhaltigkeitsgründen keinesfalls in Frage. So zog ich halt einfach mit meinem bekannten Stuhl und der Gästeluftmatratze einer Freundin ein. Da ich direkt zum Einzug an Covid erkrankte, war ich froh um diesen edlen Schlafplatz statt meiner dünnen Yogamatte. Was ich mir neu kaufte, war ein kleiner Schreibtisch, da dieser für mich als Schreiberling essenziell ist. Inzwischen kam eine Matratze dazu. Ansonsten richtete ich mich im Eiltempo mit Gegenständen aus mindestens zweiter Hand ein, begleitet durch die spannende Suche nach dem passenden Stück und vielen neuen Bekanntschaften mit Leuten, die auf Plattformen ihre gebrauchten Waren anbieten. Zusätzlich entdeckte ich die mir noch unbekannte Umgebung durch offene Augen begegneten mir unterwegs immer wieder unerwartete Schätze.

Es wurde mir wieder mal klar, dass ich in einem der reichsten Länder der Welt wohne. Hier ist alles im Überfluss vorhanden und die Qualität von Gebrauchtem durch sorgfältigen Umgang meistens so gut wie neu. Was soll ich sagen? Einige Tage nach Einzug war die Wohnung ideal eingerichtet, sogar mit echten Liebhaberstücken und Luxusgegenständen wie etwa einem Milchschäumer. Übrigens richtete ich nicht zum ersten Mal meine Wohnung auf diese Art und Weise ein. Dieses individuelle Zusammenwürfeln bot mir retrospektiv sogar stets die stimmigsten Wohnatmosphären. Einen weiteren Aspekt möchte ich hier kurz beleuchten: Wir verfügen über zwei Währungen, Zeit und Geld. Nun hat mich meine aktuelle Einrichtung summasummarum so um die 250.- Franken gekostet. Du kannst dir vorstellen, wie sich dieser Betrag zusammensetzen würde, wäre ich in den Laden gefahren. So bedeutet für mich bewusster Konsum immer auch die Frage, wieviel meiner kostbaren Lebenszeit ich aufwenden müsste, um das benötigte Geld zusammenzubekommen. Meinen Job liebe ich über alles, aber er bedeutet mir nicht mehr wie früher mein ganzes Leben. Um gute, solide Arbeit zu bieten, sind Pausen in einem gesunden Masse für mich inzwischen essenziell. Es bedeutet mir deutlich mehr, frei über meine Zeit verfügen zu können, statt ihr nachzurennen. Heute schlägt mein Herz hoch, wenn ich durch inspirierende Schweizer Altstädte flaniere oder mich an einem der traumhaften Gewässer niederlasse, die unser Land zu bieten hat und dort einfach bin. Im Hier und Jetzt. 

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